textXTND

 

 

Musik        Performance        Hörspiel        Installation        Veröffentlichung        Über uns 




 

BRECHT EISLER / ARBEIT / CD / 1998


Deutschlandfunk Kultur 21.03.1999

'Arbeit für Eisler'

Eisler experimentell arrangiert

Am Mikrofon Frank Kämpfer. Lieder oder besser gesagt Songs von Hanns Eisler stehen in den folgenden Minuten zur Diskussion. Und zwar in ungewöhnlicher. Interpretation. Ich stelle Ihnen heute zwei Konzept-CDs vor, die beanspruchen, sowohl Unterhaltungsmusik als auch avancierte Hörkunst zu sein. * Musikbeispiel: Hanns Eisler - "Im Blumengarten" Unaufdringlich und zugleich beinahe distanzlos die Stimme. Dazu ein Techno-Segment. Stille, dann kunstvoller Lärm, dann erneut der Sprechgesang, der das Bindeglied ist. Der Sound wechselt, birgt elektrisch verstärkte Gitarre, Freejazz, Pentatonik; in Leerstellen klingt ein ganzer Steinbruch auditiven Geräuschs. Die Idee, sich Songs von Brecht und Eisler auf experimentelle Art zu nähern, verfolgen Sänger Oliver Augst, Gitarrist Christoph Korn und Keyboarder Marcel Daemgen aus Frankfurt/Main bereits ein knappes Jahrzehnt. Zum 100sten Geburtstag des Komponisten im vergangenen Jahr endlich fanden sich Partner und Interessenten und das Projekt kam in Gang. Musikalisch vereint es Verschiedenerlei: Korn, Punkgitarrist und Soziologiestudent, wirkte lang in der Freien Improvisation; Sänger Oliver Augst kommt von Performance und Bildender Kunst; Keyboarder Michael Daemgen blickt auf ein klassisches Studium zurück, auf Theaterarbeit sowie Produktionen an der Grenze von Techno und Noise. Zusammen geht solcherlei hier sehr unakademisch. Respektlosigkeit zielt nicht auf das Material, um so deutlicher jedoch gegen nostalgische Darbietungsform. Bereits die Titel-Auswahl verstößt gegen die Norm. Hier wurden sehr intime Werke gewählt, die jedes Eisler-Bild stören und die kaum abgenutzt sind: ‘An den kleinen RadioApparat’ etwa, ‘Hotelzimmer 1942’, oder der eingangs gehörte ‘Blumengarten’. Unspektakuläre Miniaturen aus der Zeit des Exils sowie betroffener Heimkehr, die nicht für globale Weltsicht, Krieg und politischen Streit einstehen, sondern für Verletzlichkeit und privates Befinden. Wiederentdeckt wird der Mensch und bewußt gemacht wird die Unzerstörbarkeit der utopischen Kraft der Musik * Musikbeispiel: Hanns Eisler - "Die Pappel vom Karlsplatz" Sehr unvermittelt und unakademisch wechseln die Arrangements; auch Kollegen gaben ihre Handschrift dazu: Alfred Harth beispielsweise, Ali Neander oder Christoph Seipel, der Mitarbeiter von Frank Farian ist. Der Spagat zwischen Kommerz und akustischer Kunst, der das Konzeptalbum prägt, ist bewußt anvisiert, er macht das Produkt reizvoll und vor der erlebten Flut traditioneller Programme in Brecht/Eislers Jubiläumsjahr in der Tat singulär. Für die Mittdreißiger Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn ergaben sich mehrere Folgeprojekte: mit ihrer Bühnenperformance ‘Arbeit für Eisler’ touren die drei Musiker in diesem Jahr bundesweit; im Frankfurter Mousonturm wird außerdem am 17. Mai ein Filmprojekt uraufgeführt, und im Herbst entsteht im Auftrag des Hessischen Rundfunks eine Hörspielproduktion. Noch ein Wort zur CD: Sie erschien unter dem Projektnamen ARBEIT beim gemeinsamen Label ‘TextXTND’; vertrieben wird sie über die Frankfurter EFA Medien GmbH, die auch eine Internet-Adresse hat

Ausgangspunkt der zweiten CD war der 98er Auftrag der Schwetzinger Festspiele an den jungen Trompeter und Arrangeur Michael Gross für ein Brecht-Eisler-Programm. Am Anfang stand zunächst eine lose Folge von Songs, deren Auswahl neben Gross Cellist Nicolas Bussmann und Sängerin Margareth Kammerer besorgten. Gitarrist Leonid Soybelman, Chef der St. Petersburger Experimentalband ‘Ne zdahli’ schuf den Kontakt zu Gerhard Busse’s Berliner Spezial-Label ‘Nomansland’. Vom musikalischen Zugriff her erscheint dieses zweite Projekt noch ein Stück avancierter, radikaler, kaum geeignet zu banalen Genuß und Konsum. Ideologisch erfolgt dabei kein Revival; die Rede vielmehr ist - wenngleich unausgesprochen - von der Geschichte der heute Endzwanziger Generation: Zu deren Erfahrung und Weltbild alternative Lebenskonzepte gehören, besetzte Häuser, das Internet und die Musiksender VIVA und MTV. Bedeutsam ist auch die Form der Produktion: Aufgenommen wurde mit Freunden in einer Berliner Wohnung im Prenzlauer Berg, und zwar nach dem Werkstatt-Prinzip. Zufallsmitschnitte wurden gesampelt und gemischt; der Sound lebt von der Persönlichkeit seiner Protagonisten. Vom stilistischen Bruch, von Collagen und kaum beschreibbarer Intensität. * Musikbeispiel: Hanns Eisler - "Nach einem Sprichwort / Resolution" Nur bedingt akzeptieren die 12 beteiligten jungen Musiker den Postmoderne-Begriff. Um Eisler und mit ihm auch Brecht von gängigen Interpretationsstrategien zu befreien, kam diverserlei Musikgeschichte ins Spiel: Neben dem Hit der einst rebellischen Stones finden sich Stilzitate von Reggae, Bigband und Beat, Freejazz und die Gitarre der Doors, aber auch A-capella-Gesang, Kunstlied, geistliche Tradition. Arrangiert ist nach einem Gegensatz-Prinzip: Der Sound von Rhythmusgruppe plus Gitarre erinnert strukturell an die rebellische Frühzeit des Beat; hier kontrastieren das improvisierte Geräusch oder wie eben im Titel ‘Resolution’ Margareth Kammerer’s infantil-zündelnder Gesang. Bewußte Übertritte in kunstvolle Unprofessionalität führen ins Vage, sie ironisieren Tradiertes und bergen Sprengkraft, unabgegoltene Energie. Dem musikalischen Endresultat fehlen jede Belehrung und Demagogie. Das fantasievolle, partiell gar humoristische Spiel, das Originalformen oft stark verbiegt, befreit Eislers Miniaturen von traditionell didaktischer Interpretation. Bestürzend ist die unüberhörbare Melancholie. Die Einladung gilt nicht dem Tanzen oder verwegenem Revoluzzen - sondern dem Zuhören. Zwischen den Songs scheinen instrumentale, ja gar experimentelle Klangwelten auf. Wiewohl das Projekt, das keine Band hat, die live vor Publikum spielt, von der Rockmusik herkommt, erfüllt es zu Recht den Anspruch konzeptioneller akustischer Kunst. * Musikbeispiel: Hanns Eisler - "Childrens rhyme / Über den Selbstmord" ‘Ode an die Langeweile’: eine musikalische Hommage an Hanns Eisler - produziert von Michael Gross, Leonid Soybelmann und Margareth Kammerer. Diese CD erschien beim Berliner Speziallabel Nomansland; zuvor erklangen Ausschnitte aus dem Frankfurter Projekt ‘Arbeit für Eisler’, vertrieben über die EFA Medien GmbH. Das war die Neue Platte, ich danke fürs Zuhören, am Mikrofon verabschiedet sich Frank Kämpfer.




Booklet Info
Presse
"Eisler, experimentell arrangiert" (Frank Kämpfer, Deutschlandfunk Kultur, 21.03.1999)
"... zur Rezeption des Komponisten Hanns Eisler" (Hans Jürgen Linke, Goethe Institut)
Konzept/Hintergrund
ARBEIT im Gespräch
Cover
Live - Lange Hanns Eisler Nacht, Jena 2017
Live 2006
Titelauswahl hören
CD-Bestellungen




 

 

Untitled Document