textXTND

 

 

Musik        Performance        Hörspiel        Installation        Veröffentlichung        Über uns 




 

JUGEND / ARBEIT / CD / 2007

Deutschlandfunk 2017 / Abt. Musik Redaktion Frank Kämpfer
ATELIER NEUER MUSIK
Samstag, 11. November 2017 22:05 – 22:49 Uhr
REVISITED
Forum neuer Musik 2005

JUGEND. Volume I: Freud
Oliver Augst, Stimme
Marcel Daemgen, Elektronik
Thomas Dézsy, Keyboards, FX-Pad
Christoph Korn, E-Gitarre, Sprache, Text
Konzert vom 6. März 2005 im DLF Kammermusiksaal

Am Mikrofon: Frank Kämpfer
Mit dem Begriff "Jugend" verbindet die Frankfurter Künstlergruppe "Arbeit" um Oliver Augst und Christoph Korn das Unverbrauchte, das jugendlich revoltierende Erkennen. Beim Forum neuer Musik 2005 bedienten sie sich des an Freud orientierten analytischen Zweiergesprächs. Zugleich sichteten sie Liedgut und Texte der deutschen Romantik und mischten alles zu einer eruptiven Collage.

Musik 1
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 6:30

Autor
Medizinisches Vokabular, ein Fallbeispiel häuslicher Aggression, Floskeln aus therapeutischer Ratgeberliteratur. All dies von verstärkten, verzerrten Stimmen gesprochen, eingebettet in anschwellendem Lärm aus Lautsprecherboxen. Auf der Bühne ein Overheadprojektor, dazu vier Herren im Anzug … an, später auf Sitzungstischen, auf denen Elektrogitarren, ein Keyboard und elektronische Gerätschaften liegen.

Zitator
"Electronic Music Theater …"

Autor
.. so seinerzeit Autor Hanno Ehrler im Programmheft …

Zitator
"… nennen die Musiker ihre Form des Musizierens bzw. Improvisierens. Es ist eine elektronische Musik, weil fast alle Klänge aus elektronischen Geräten kommen – seien sie schlicht wie das Megaphon oder so komplex wie ein Computer. Dazu – nicht so dominant wie in der Oper, aber deutlich zu spüren –tritt Theatrales. Die Spezifik des vorgefundenen Raumes wird einbezogen und mit geringfügiger Inszenierung als Ganzes fassende Bühne geformt …. Im Falle von "Jugend. Volume I. Freud" ist eine Konferenz-Situation simuliert. Tisch- und Stuhlreihe bilden das visuelle Zentrum, innerhalb dessen sich die Musiker bewegen. Der gesamte Bühnen- und Zuschauerraum wird als einheitliches Objekt hell ausgeleuchtet und dadurch 'ausgestellt' … sozusagen."

Autor
In jedem Fall vermieden die vier Akteure des Frankfurter Künstler-Kollektivs "Arbeit" bei Ihrem Auftritt im Deutschlandfunk Kammermusiksaal jene klassi-sche Konzert-Situation, in der es zwischen Publikum und Künstlern klare Ver-abredungen gibt. Was hier anhub, am Abend des 6. März 2005, war gänzlich unklar, mutete eher wie eine chaotische, kaum mehr zu steuernde Probe an denn wie ein krönender Festivalabschluss. Indes, die Negation barg Struktur: Sequen-zen von Text, Szenisches, Geräusche und Sounds sowie überraschend einsetzen-de, bekannte Gesangstitel verschränkten sich zu einer Art Polyphonie, die ihren Sinngehalt, ihre Botschaft wiederum nicht einfach preisgab. Wie Jahre zuvor beim Projekt "Heimat" gab es keinerlei Partitur: Vielmehr hatte jeder der vier Künstler auf seine Art mit dem Material gearbeitet, es collagiert oder durch kompositorische Eingriffe geformt und verfremdet.

Musik 2
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 5:25

Autor
Unschwer zu erkennen: Gustav Mahlers berühmtes Orchesterlied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" – von Sänger Oliver Augst eingebracht in die von Gitarrist Christoph Korn, Keyboarder Thomas Dézsy und Elektroniker Marcel Daemgen live erzeugte Collage aus Sounds und Geräuschen.
Letztere, so hieß es seinerzeit in der Neuen Zeitschrift für Musik, bestim-me die Klangästhetik der Formation:

Zitator
"Charakteristisch ist ein Changieren zwischen Musik und Semantik, zwischen Assoziation und sinnlichem Erfahren. Ein zentrales Element ist dabei das Ge-räusch. Es wird durch elektronische Verfahren erzeugt und beherrscht – neben verschiedenen Collage- und Montagetechniken – die spezifische Klangbear-beitung. Instrumental Gespieltes durchläuft meistens elektronische Schaltungen: ein Megafon, Effektgeräte vor der Gitarre, Keyboard und Computer. Das Misch-pult nutzen die Künstler wie ein Musikinstrument; aus Rückkopplungsschaltun-gen generieren sie eine Vielfalt an Geräuschen."

Autor
Auch wie hier im Falle einer Integration eines klassischen Liedes ist Geräusch von immenser Bedeutung. Mahlers Komposition wird entkernt, lediglich Melo-die und Text bleiben, sie fungieren signalhaft als Wiedererkennungsmomente, aber in einem ganz anderen akustischen Kontext. – Genau dieses Gestaltungs-prizip zeichnet auch die Schallplatten der Formation, die stets parallel zu den Bühnen-Projekten entstehen, sich von diesen jedoch unterscheiden. Wie erkennbare akustische Inseln lassen sich so heute im Forum-Konzert von 2005 verschiedene Titel des späteren CD-Albums "Jugend" auffinden. Ohne Kenntnis der Szene, beim Wiederhören allein des Mitschnitts aus der Konserve, erschei-nen sie als Knoten- und Orientierungspunkte im ganzen Programm.
"Jugend. Vol. 1: Freud" verweist so auf das zentrale Terrain, auf dem die Frankfurter Gruppe "Arbeit" [heute nur mehr ein Duo] seit 20 Jahren agiert: das deutsch-sprachige Lied. Ihm gelten alle Aktivitäten: Sichtung, Untersuchung, Rekomposition; Das Ziel: Unabgegoltenes freizulegen in vermeintlich Bekann-tem. Über die Jahre haben Musiker um Marcel Daemgen und Oliver Augst mit Hilfe des Deutschlandfunks Konzept-CDs zum Themenfeld Volkslied, zum Schlager, zu Romantik, zum Arbeiterlied, zu Peer Rabens Filmmusik produziert. Die Grenze zwischen "unterhalten" und "ernst" war dabei stark gesenkt. – Auch im folgenden Konzertausschnitt begegnet ein Lied, ein Kunstlied Franz Schu-berts, das hier wie eine avancierte Theatermusik-Szene klingt.

Musik 3
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 5:50

Autor
Gab es in der beschriebenen Struktur eine zentrale Thematik, ein Sujet? Gab es einen Handlungsstrang im Electronic Music Theatre JUGEND. Volume I: Freud? Im klassischen Sinn ganz sicher nicht. Hanno Ehrler notierte im Programmheft dazu:

Zitator
"Mit dem Begriff ‚Jugend' verbindet die Frankfurter Künstlergruppe "Arbeit" um Oliver Augst und Christoph Korn das Unverbrauchte, das jugendlich revol-tierende Erkennen, den Topos intellektueller, geistiger Revolution. Projiziert wird dies auf das Individuum, auf private Kommunikationssituationen, auf zentrale Erfahrungen wie Erinnerung, Trauer und Tod."

Autor
Mir … scheint aus heutiger Sicht die spätere CD-Koproduktion "Jugend" the-matisch stringenter. Auf den ersten Blick ist dies ein Liederalbum der deutschen Romantik. Schumann und Eichendorff, Schubert, Brahms, Uhland, Mörike, Wagner und Mahler aber klingen sehr seltsam. Was hier aus gekannt Geglaub-tem entwächst, ist – rekomponiert – von Schwärmerei und Romantisierung ganz frei. Umso mehr artikuliert sich ein Selbst- und Weltempfinden, das wenig be-haglich erscheint. Die hier sprechen, sie treten, befreit von früherer Klanggestalt, näher, ja nahe. Ein ganzes 19. Jahrhundert lang, mochten sie Schmerzliches und Enttäuschendes registrieren und ob des Widerspruchs zwischen Wirklichkeit und Ideal Unbehaustheit empfinden. – Wie wir heut.

Zitator
"Betrogen um die vermeintliche Chance ihrer Generation: Kinder gewaltiger Eruptionen, Umbrüche – aufgewachsen mit Verheißungen und der Ahnung des Zündelns ringsum, Zeugen gewiss vermeidbarer Kriege und Katastrophen, aus-geliefert hernach an die wievielte Restauration."
Autor
Solcher Zug fehlt dem Bühnenprogramm, in dem stets etwas Zufälliges, Impro-visiertes, Episodisches herausgestellt ist. Andererseits hat es den Charme des Exzessiven, unverhofft Überspringenden. Raum für Disparates, Träume, Sprengkraft von Anarchie.

Musik 4
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 7:40

Autor
Udo Jürgens Schlager "Illusionen" im Klanggewand der Frankfurter Gruppe Arbeit – als Teil des Electronic Music Theatre "Jugend. Vol. 1: Freud" gewis-sermaßen dekonstruiert. Stromgitarren, Computergeräusch, Megafonrufe treten zu künstlichen Gegenwirklichkeiten zusammen.
Was sagte die Fachwelt seinerzeit zu diesem Projekt?

Zitator
"Das Lied hat wohl auch als klassische Schnittstelle von Musik und Sprache eine große Bedeutung. Heute sind die Verhältnisse darin unendlich schwieriger zu ordnen. In der improvisierten Vorläufigkeit der gestalteten Nichtgestaltung, im noch immer weitgehend unbestellten Zwischenfeld suchen Augst, Daemgen, Dészy und Korn nach Möglichkeiten …".

Autor
… so die Frankfurter Rundschau online am 14. März 2005. Rainer Nonnen-mann in den Musiktexten 105 sah die Gruppe "Arbeit" in der Nachfolge von Heiner Goebbels:

Zitator
"Nach dem Vorbild von Sigmund Freuds Sprache des Unbewussten improvisie-ren sie aus einem reichen Fundus an Texten, Büchern, Briefen, Träumen, Noten, Overhead-Folien, Samples, Computer- und Synthesizer-Klängen. Durch ver-schiedenste Präsentationsformen entsteht eine surrealistische Kolportage ambi-valenter Situationen zwischen Konzert, Talentprobe, Fachkonferenz, Lebens-hilfegruppe und Therapiestunde. Trotz offenem Verlauf und heterogenen Mate-rials schält sich während 75 Minuten eine erstaunliche Dramaturgie heraus und fügt sich bei perfekt abgemischter Elektronik."

Autor
Etwas genauer beobachtete mitten im Publikum der Regisseur Jan-Philipp Possmann, dem die Ästhetik der Gruppe "Arbeit" bisher wenig zugänglich war:

Zitator
"Das ganze Stück ist so aufgebaut, dass man über viele Umwege, Hintertüren, unerwartete Winkelzüge und auch Sackgassen plötzlich bei einem absolut stimmigen Moment ankommt. Es tut sich also in den letzten Minuten von ‚Jugend' plötzlich eine formale Konsequenz und Stringenz auf, die wirkt, als wäre man die ganzen eineinhalb Stunden nur auf dieses eine Bild zugesteuert."

Autor
Die vier bis dato höchst steifen Herren in ihren Anzügen erklimmen die Tische vor ihnen, breiten die Arme aus, neigen sich vor, stehen nur mehr noch auf einem Bein. Einer schwankt. Flugmodus!!

Zitator
Aufbruchsmoment und Absturzgefahr ganz nah beieinander – das Wagnis, ohne das kein Kunstentwurf auskommt.

Autor
Georg Beck in der Neuen Musikzeitung sah womöglich schon in die Zukunft. Der folgende Jahrgang 2006 hob unser Forum neuer Musik auf eine höhere Umlaufbahn.

Musik 5
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 6:10



MUSIKABLAUF
Musik 1
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 6:30
Musik 2
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 5:25
Musik 3
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 5:50
Musik 4
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 7:40
Musik 5
Gruppe 'Arbeit' – JUGEND. Volume I: Freud
Augst. Daemgen. Dézsy. Korn 6:10



CD Information / Titel
Booklet-Text
Presse
Atelier Neue Musik, Deutschlandfunk, 2017
JUGEND - Feature Deutschlandfunk, 2007
ARBEIT, JUGEND - Feature Radio Z, Nürnberg
Titelauswahl hören
Bild
Live 2006
CD-Bestellungen






 

 

Untitled Document