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Der US-amerikanische Künstler Raymond Pettibon kommt aus der Punk-Bewegung. Mit resigniertem No-Future à la Fußgängerzone oder lackiertem Pop-Punk à la Billy Idol hat das nichts zu tun. Pettibons Punk geht es um Auflehnung gegen soziale Ungerechtigkeit, Kommerz und Konformismus. Diese Motive stehen auch im Vordergrund, wenn er mit dem Musiker Oliver Augst Radiokunst macht.
›What we know is secret‹ von Raymond Pettibon und Oliver Augst hören Sie heute bei Deutschlandfunk Kultur. Am Mikrofon begrüßt Sie Golo Föllmer. Herzlich willkommen zur Klangkunst, diesmal zu Gast im Hörspiel.
Für die einflussreiche Hardcore-Band ›Black Flag‹, in der sein Bruder Greg Ginn spielte, gestaltete Raymond Pettibon schon Ende der 1970er Jahre Plattencover, Flyer und das geradezu ikonische Logo: vier schwarze Balken, heute eines der beliebtesten Tatoo-Motive. Berühmt wurde später auch sein Cover für die Platte ›Goo‹ der Noise-Art-Band Sonic Youth: zwei Gestalten mit Sonnenbrillen in fein schwarz-weiß gezeichneter Comic-Ästhetik. Im Bild steht Text, von Hand geschrieben. Diese Kombination aus Bild, oft aus den Medien abgezeichnet, und Text, häufig unbeholfen hingekrakelt, ist Pettibons Markenzeichen.
Heute ist Raymond Pettibon ein Star des Kunstmarktes. Und ein höchst produktiver: Zwischen 10 und 30.000 Zeichnungen soll er bisher angefertigt haben. Das bedeutet aber nicht, dass er es sich leicht machen würde. Pettibons Kunst entspringt einer äußerst genauen Beobachtung der Welt, einer aufmerksamen Lektüre. Hier findet er die Fragen, die er in seinen Texten und Zeichnungen formuliert: Fragen nach der Rückseite, nach den tiefer liegenden Schichten von Macht, Mediengeflimmer und Alltagstragödien. Pettibon fragt nach gesellschaftlicher Verantwortung, politischen Abgründen und psychischen Schwelbränden. Seine Bilder, Drehbücher, Filme und Texte stellen nicht fest, sondern belassen es bei der Frage nach feineren Verbindungen zwischen möglichen Bedeutungsebenen unserer Zeit.
Mit dem deutschen Musiker und Radiomacher Oliver Augst arbeitet Pettibon seit fast zwanzig Jahren zusammen. Für ›What we know is secret‹ entstanden Aufnahmen im Studio des Künstlers im 57. Stockwerk des New Yorker Gehry Towers. Pettibon steuerte die Texte bei, Augst musikalische Elemente. Thema ist die US-amerikanische Gesellschaft: ihre Ungerechtigkeiten und Perversionen, ihre Obsessionen und blinden Flecken.
Ein Motiv, das im Stück immer wieder auftaucht, sind die sogannten ›Burma Shave Poems‹, eine Werbekampagne, die von den 1930ern bis in die 1960er Jahre US-amerikanische Highways flankierte. Ein Rasierseifenhersteller warb mit knappen Wortspielen für das Glück aus der richtigen Seife. Auf Twitter spielt Pettibon seit Jahren mit dem Rhythmus und der Kürze dieser Burma Shave Reime, in einer für das Digitalzeitalter adaptierten Form. Oliver Augst labelte diese Poesie als ›Burma Shave Electrics‹, wie es auch im Untertitel des Stückes heißt.
Die Sendung enthält aus Gründen der Originalität viele englischsprachige Passagen. Das Wesentliche wird aber auch in deutscher Übersetzung gesagt, übrigens aus dem Mund von Brezel Göring, bekannt durch seine Arbeit in dem Pop-Duo Stereo Total.
EINSPIEL
›What we know is secret‹
von Oliver Augst und Raymond Pettibon
(50:06)
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Entstanden ist das Stück zu größten Teilen in Aufnahme-Sessions in New York. Einen genauen Plan gab es nicht. Oliver Augst schildert die Arbeitsweise bei der Entstehung von ›What we know is secret‹ und beschreibt, was die Zusammenarbeit mit dem Künstler Raymond Pettibon ausmacht:
EINSPIEL
Und dann bin ich zu ihm nach NY, wir hatten etwa 10 Tage Zeit. Und der Arbeitsvorgang war der, dass ich schon bereits so halb fertiges Musikmaterial mitgebracht habe, von dem ich mir vorstellen konnte, dass ihm in Loop-Form oder vereinfachter zu unterlegen. Und ihn zu bitten, bestimmte Textmaterialien dazu auszuwählen.
Das muss man sich dann eher so rum vorstellen, dass die Musik oder musikalische Rahmen den Auslöser gegeben hat für die Entscheidung, welcher Text dazu passen könnte. [...] Und dann haben wir uns innerhalb dieser 10 Tage durch Textmaterialien gewühlt und Aufnahmen gemacht, die ich dann soz. in einem letzten Schritt bei mir hier wieder zuhause im Studio dann zu der endgültigen Form zusammengebaut hab.
In der Tat ist Raymond Pettibon jemand, der ununterbrochen an seinen Texten arbeitet. Also man wird ihn nie antreffen ohne eine Plastiktüte voll mit halbvoll geschriebenen Textpapieren und mit Manuskripten und auch Auszügen aus Büchern, die er teilweise abschreibt, kopiert oder auch rausreißt im Gedanken, dass es den Moment geben wird, wo er daraufhin ansetzend irgendwas eigenes, was neues daraus strickt. Also, er ist eigentlich permanent in einer Textarbeit und er sagt ja auch selbst, dass diese Zeichnungen auch nich getrennt funktionieren. Das ist nich so dass er erst ne Zeichnung macht und zum Schluss noch irgendwas hinschreibt, sondern das passiert immer parallel, und oft ist es genau umgekehrt, dass sogar der Text als erster Impuls da ist daraufhin die Zeichnung im Wechselspiel mit dem Text dann fortgeführt wird.
Und Pettibon hat sich ja immer für die amerikanischen Oberflächen, also was Pop ist, die Oberflächen der Kultur interessiert und damit gearbeitet. Und sprich von dieser Oberfläche angefangen, Tiefenschichten abgetragen, bis hin zu seinen heutigen sehr komplexen Konstrukten, aus Zeichnungen und aus Text.
Das zieht sich durch das ganze Oeuvre von Pettibon, dass die uramerikanischen Themen eben Gegenstand von seiner Arbeit sind. Und ob das jetzt auf der reinen Textebene, die zB als Filmscript angelegt war, oder in seinen Zeichnungen: Es wird immer wieder diese Aneignung, die Anknüpfung an historischen Gegenstände geben.
Aus meiner Perspektive ist das ein ganz ähnlicher Gestus wie er in seinen Zeichnungen auch auftaucht. Wie auch Schriftbilder in seinen Zeichnungen auftauchen. Das ist ja auch keine akkurate, saubere Schrift, das ist quasi hingeworfen, das ist auch die Energie mit drin, da ist der Gestus und der Körper mit drin.
Und ich muss sagen, diese Trash-Ästhetik hin oder her: Vieles is ja auch gar nicht trashig, is ja teilweise auch ganz präzise alles. Ich glaube da liegt die Spannung drin, zwischen diesen ganz ganz klar gesetzten inhaltlichen Polen und der roughen und manchmal so hingeschleuderten Handhabe. Da spielt sich einfach alles ab.
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Oliver Augst über den Künstler Raymond Pettibon und die Arbeit am eben gehörten Stück ›What we know is secret. The Burma Shave Electrics Vol. 2‹.
Die gerade von Augst angesprochene Trash- und Noise-Ästhetik findet sich auch in einem früheren Stück der beiden Künstler, ›The whole world is watching‹, ein Musical, wie die Künstler sagen, aus dem Jahr 2008. Das Stück basiert auf Pettibons Pop-Art-Buch ›The whole world is watching. Weatherman '69‹, das in den späten 1980er Jahren entstand. Pettibon arbeitet in dem Buch die Geschichte der amerikanischen linksradikalen Terrorgruppe ›Weatherman Underground› auf. Auflehnung gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit, kommunistische Ideale und Gewalt gegen den Staat verbanden sich in dieser Bewegung mit der großen Strömung des „Sex, Drugs and Rock'n'Roll“. Das Stück portraitiert einzelne Akteure der Bewegung, wirft Schlaglichter auf ihre politische Motivation und auf die menschliche Seite: das Insistieren auf Spaß am Leben, aber auch die Gier nach Sex und Geltung.
Neben den Stimmen von Raymond Pettibon und Oliver Augst wirken in dem Stück der legendäre japanische Noise-Gitarrist Keiji Haino, der Goldene Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun und der Elektronik-Musiker Marcel Daemgen mit.
Hören Sie einen längeren Ausschnitt, etwa die Hälfte aus dem einstündigen Musical, ›The whole world is watching‹, von Oliver Augst und Raymond Pettibon.
EINSPIEL
›The whole world is watching‹
von Oliver Augst und Raymond Pettibon
MOD 4›The whole world is watching‹, von Oliver Augst und Raymond Pettibon. Mit Raymond Pettibon, Oliver Augst, Schorsch Kamerun und Michaela Ehinger, Stimme. Keiji Haino, Gitarre. Marcel Daemgen, Sampler. Texte: Raymond Pettibon. Konzept und Regie: Oliver Augst. Sie hörten einen Ausschnitt aus der Produktion des Hessischen Rundfunks aus dem Jahr 2008. Am Mikrofon verabschiedet sich Golo Föllmer.