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This is music

What is Music? – so der Titel einer Konzertreihe, die sich nicht auf ein vorab abgegrenztes Feld von Musik beschränken will, sondern explizit auszuloten versucht, was heute als Klingende Künste verstanden werden kann. Mit diesem Begriff nimmt der Kurator Oliver Augst Bezug auf die Bildenden Künste, deren Entwicklung im Laufe des 20. Jahrhunderts die Verbindlichkeit von traditionellen Gattungen und Medien aufgelöst, und einen prinzipiell unbeschränkten Freiraum des künstlerischen Arbeitens geschaffen hat. Parallelen hierzu finden sich auch in der Musik, Korrespondenzen und Überschneidungen ohnehin; doch scheint die Wirkung solcher Denkansätze und Verschiebungen bei ihr deutlich schwächer auszufallen. Ihre klassischen, akademischen oder populärkulturellen Kategorien werden bis heute vergleichsweise wenig hinterfragt.

Gleichzeitig haben Formen musikalischer Grenzüberschreitungen, die Gattungen und Definitionen über den Haufen warfen, und ein neues, nach innen und außen offenes Feld absteckten, schon eine lange Tradition. Für die Entwicklung der historischen Avantgarde waren diese Grenzüberschreitungen sogar generell von großer Bedeutung. Sie sind es, die den Kontext, den großen Rahmen bilden, auf den sich diese Reihe bezieht: er reicht unter anderem von den Geräusch-Maschinen der Futuristen und den konzeptuellen und aleatorischen Ansätzen John Cages über die raumbezogenen Arbeiten Alvin Luciers, den freien Improvisationen bei Cornelius Cardew, von den bahnbrechenden Interventionen des Free Jazz bis hin zur experimentellen Noise-Musik im New York der 1980er Jahre oder dem heutigen Konzept-Pop à la Tocotronic.

Hier setzt das Programm von What is Music? an, indem es zunächst keine offenkundigen stilistischen oder gattungsspezifischen Einschränkungen vorgibt, und nicht zwischen ernsten und unterhaltenden Gattungen unterscheidet. Entsprechend waren bisher so heterogene musikalische Acts zu sehen wie der japanische Noisecore-Gitarrist Keiji Haino, die Schweizer Jodlerin und Langnauerörgeli-Spielerin Christine Lauterburg und der deutsche Alleinunterhalter Friedrich Liechtenstein.

Neben der Vorführung mongolischen Höömi-Obertongesangs von HOSOO und einer für die Produktion von Dance- und Minimal-Musik programmierten Software von Hiroshi Matoba aus Japan, installierten die Frankfurter Musiker Rüdiger Carl und Burkhard Kunkel zu »Jazz-Balladen rund um die Liebe« eine Cocktailbar auf der Bühne. Performative Elemente wurden zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Aufführungen. Im Jahr 2011 macht die Berliner Pianistin, Klangkünstlerin, Komponistin und Hörspielautorin Ulrike Haage den Auftakt. Es folgen unter anderem der Künstler und Musiker Wolfgang Müller von der Berliner Band Die Tödliche Doris und Sylvi Kretzschmar mit Ted Gaier von der Hamburger Band Die Goldenen Zitronen sowie der britische Schlagzeuger Chris Cutler, der in den Grenzbereichen von Art Rock, Jazz- und Avantgarde-Rock arbeitet und spätestens in den 1970er Jahren mit der Band Henry Cow bekannt wurde.

Trotz des breit gefächerten und disparate Ansätze verbindenden Programms bleiben akademisch orientierte Positionen des institutionellen Musiklebens ausgeklammert. Stattdessen fokussiert die Reihe geradezu auf das, was man als Bereich nicht-akademischer musikalischer Formen bezeichnen könnte – was insofern interessant ist, als ein solcher bis heute noch gar nicht genau definiert ist. Es steht lediglich fest, daß er sich vom Akademischen absetzt. Und selbst darin ist die Verbindung nicht gekappt: Zwar sind eine Reihe der Akteure keine studierten Musiker, andere haben aber durchaus einen akademisch-professionellen Hintergrund.

Der Begriff des Nicht-Akademischen läßt sich dennoch auch mit Inhalt füllen, denn die musikalische Praxis, die jenseits der Vorgaben der institutionalisierten Musikwelt nach neuen Ausdrucksformen sucht, bringt ganz spezifische, anders geartete Ansätze hervor. So geht es beispielsweise darum, sich nicht ausschließlich mit musikalischem Material zu beschäftigen, sondern es in offene Zusammenhänge zu transportieren, so daß der musikalische Prozeß mit anderen Ebenen in Beziehung tritt. Das kann den unmittelbaren, bespielten Raum, physische Materialien, Situationskontexte oder auch musikalische oder nicht-musikalische Elemente der Alltagswelt betreffen.

Es sind gleich mehrere Beiträge, in denen der mündliche Vortrag zu einem Format der Musik wird: Ähnlich wie in seinem Buch Musik im Großen und Ganzen, in welchem Frieder Butzmann in beflissenem Duktus die gängigen Begriffe der bekannten Musiklexika um weitere ergänzt – ein Eintrag dem unverzichtbaren Klinkenstecker widmend, ein anderes dem Automobil in der Musik – führt er auch in dieser Konzertreihe die professorale Betulichkeit des Musikbetriebs vor: Nachdem er einen Beatles-Song hingerissen und vollmundig anpreist, trötet er diesen ohne mit der Wimper zu zucken völlig stümperhaft aus einem gebogenen Plastikschlauch heraus.

Wolfgang Müller hingegen rollt ein ganzes Repertoire an Possen aus seinem Leben aus, die er mit selbst aufgenommenen Dias bebildert. Er berichtet beispielsweise vom isländischen Penis-Museum und dem dort beheimateten großen Walfischpenis. Während der Vortrag über das Museum gute zehn Minuten füllt, ist der dem Besitzer des Museums gewidmete Song keine zwei Minuten lang – die Musik wird quasi zum Supplement der erzählten Geschichten.

Der musikalische Beitrag von Hiroshi Matoba könnte gar als klassische Software-Präsentation durchgehen. Gleich einem Vertreter führt er die Anwesenden mittels Projektionen in deren Funktionen ein. Währenddessen ist die entstehende Musik hörbar, so daß jeder Schritt anschaulich nachvollziehbar wird.
Die Reihe schließt mit ihren Konzerten stets an andere Bezugsfelder an. Es kommen Idiosynkrasien und körperliche Ausdrucksebenen der unmittelbaren Akteure ins Spiel. Statt sich in einen musikalischen Kanon einzuordnen werden immer neue Eigenwelten kreiert.

Komplementär dazu spielt bei What is Music? auch das Veranstaltungsformat eine Rolle. Eine Reihe, die selbst experimentell auf ihren Inhalt Bezug nimmt, ihn also nicht als These, sondern als offenen Raum begreift, benötigt dafür einen offenen Kommunikationsmodus.

Das Programm der Reihe ist davon geprägt, daß es nicht nicht etwa aus einem wissenschaftlich-diskursiven Blickwinkel heraus, sondern von Oliver Augst, der selbst auch Musiker ist, gewissermaßen aus einer Innenperspektive heraus entworfen wurde. Dessen persönliche Vorlieben und eigene Bezüge kommen zum Tragen. Augst tastet seinen eigenen ästhetischen Horizont ab, verortet sich innerhalb der divergenten künstlerischen Entwürfe seiner Musikerkollegen – und stellt zugleich seinen eigenen musikalischen Kosmos aus.

Anders als in klassischen Konzerten ist der Zuhörer dabei nicht einfach Konsument eines bereits abgesteckten Angebots, sondern Beteiligter einer kommunikativen und subjektiv geprägten Situation mit Akteuren, die ihre Werke unmittelbar selbst vermitteln.

Dies ist für Augst ein entscheidender Aspekt, bei dem er auf das Beispiel von Hanns Eislers Die haltbare Graugans zurückgreift. An diesem Lied zeigt sich die große Bandbreite zwischen einer von Eisler selbst vorgetragenen Version – die lediglich in inoffiziellen Aufnahmen vorliegt –, und den von anderen Vokalisten eingesungen Aufnahmen. Offenbar ermöglicht die persönliche Ausführung durch den Komponisten eine völlig andere Grundhaltung. Da geht es nicht um gesangstechnische Fragen, Eisler schert sich nicht um seine Intonation. Stattdessen entladen sich seine Töne mit einer fast existentiellen Intensität.

Die offene Kommunikationssituation, die für diese Reihe charakteristisch ist, ermöglicht so eine Direktheit, die die Bedeutungsschwere der ritualisierten konventionellen Musikrezeption aufhebt. Zugleich werden neue, konkrete Bedeutungen erzeugt. Oder Antworten gegeben, auf die Frage: Was ist Musik?

Zeitschrift Positionen, Ellie Ferriol, Februar / 2012

 

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